HALTEN UND GEHALTEN WERDEN
DIE ERSCHÖPFUNG SPÜREN
Die letzten Wochen waren hart. Hart in dem Sinne, dass ich immer mehr merke, wie ausgelaugt ich mich eigentlich fühle. Dieses ständige Tun, das Erreichbarsein, alles am Laufen halten, strukturiert sein, unterrichten, motivieren, inspiriert bleiben. Doch egal, wohin ich blicke – all das scheint in meiner Außenwelt gerade nicht wirklich vorhanden zu sein. Wir beschweren uns über das Wetter, über die Kälte, das Trübe und Graue. Wir sind genervt, angespannt und müde. Und so sehr mich diese Einstellung, sowohl bei anderen als auch bei mir selbst, nervt – sie ist doch irgendwie wahr. Aber darf das nicht auch einfach sein?
Die Frage ist nur: Wie lange und wie stark lasse ich mich davon beeinflussen? Wie schaffe ich Momente, in denen ich auch das Gegenteil erlebe? Und wie gelingt es, davon mindestens genauso viele zu erfahren wie von den schwierigen?
DIE NATUR DES SPIEGELS
Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir: Unter all dem steckt noch eine andere Wahrheit. Wenn ich nach draußen schaue, in die Natur, und den Kreislauf der Jahreszeiten beobachte, erkenne ich: Es ist völlig berechtigt, sich „nicht ganz auf der Höhe“ zu fühlen. Die Natur selbst ruht im Winter, zieht sich tief in sich zurück. Es gibt kaum sichtbare Bewegung, doch unter der Erde beginnt es bereits zu leben und zu pulsieren – der Frühling bereitet sich vor.
Es liegt doch in unserer eigenen Natur, uns manchmal so zu fühlen. Besonders, wenn wir uns die zusätzlichen Herausforderungen des Lebens anschauen, die jeder von uns mit sich trägt.
RAUM HALTEN - FÜR ANDERE UND FÜR SICH SELBST
Als Yogalehrerin ist eine meiner wichtigsten Aufgaben, Raum zu halten. Das bedeutet, den Augenblick, das Gefühl, den Gedanken oder das Erlebte einfach sein zu lassen – für andere und auch für mich selbst. Doch die Herausforderung liegt im Gleichgewicht: Wie viel lasse ich zu? Wie viel Gefühl spüre ich und lasse ich spüren? Wie viel Raum, wie viel Verletzlichkeit und Einblick in mich selbst erlaube ich? Und gleichzeitig: Wie halte ich meinen eigenen Raum? Wo ziehe ich Grenzen, und wann setze ich sie? Das sind Fragen, die ich mir immer wieder stelle – und ich glaube, sie sind für jeden von Bedeutung, nicht nur für Yogalehrer:innen.
HALTEN UND GEHALTEN WERDEN
Um Raum für andere zu halten, braucht es Ressourcen. Es braucht Momente, in denen auch ich gehalten werde. Das kann der Partner sein, die Familie, Freunde – oder manchmal auch ein ganz besonderer Raum, in dem ich selbst loslassen und auftanken kann.
Diese Woche war ich zum ersten Mal seit fast zwei Jahren wieder bei einem Frauenkreis. Ich hatte es schon so lange auf dem Schirm, aber es wollte bisher nie so recht passen. Entweder habe ich zu der Zeit unterrichtet, oder es gab andere Gründe, die mich abgehalten haben. Und natürlich auch die üblichen inneren Hürden: Was erwartet mich dort? Wie verletzlich wird es sein? Wie sehr wird es mich triggern? Kann ich meine Erwartungen loslassen – auch die, keine Erwartungen zu haben?
ERWARTUNGEN LOSLASSEN
Ich erinnere mich dabei an zwei Frauenkreise, die ich selbst einmal gehalten habe. Der erste war unglaublich schön, tiefgehend, nährend, emotional. Danach hatte ich fast zwangsläufig die Erwartung, dass der nächste genauso sein müsste. Doch was passierte? Der zweite Kreis war ebenfalls schön, aber nicht so tief oder berührend wie der erste. Ich war enttäuscht – von mir selbst. Ich dachte, ich hätte es „nicht gut genug“ gemacht. Perfektionismus lässt grüßen.
Doch im Frauenkreis diese Woche, bei dem ich einfach nur Teilnehmerin war, wurde mir wieder bewusst, dass es nicht immer um Tiefe oder Emotionalität geht. Es geht vielmehr darum, das anzunehmen, was gerade ist. Wenn es emotional wird – gut. Wenn nicht – genauso gut.
GEHÖRT, GESEHEN UND GETRAGEN WERDEN
Das Beste war, gehalten zu werden. Nicht aufdringlich oder offensichtlich, sondern subtil, sanft, und trotzdem mit so viel Präsenz, dass ich mich gesehen, gehört und getragen fühlte. Einfach so. Nicht mehr, nicht weniger. Und doch war es so viel mehr, als ich hier in Worte fassen kann.
Es hat mir einmal mehr gezeigt, wie wichtig es ist, sich Räume zu schaffen, in denen man loslassen kann. Wo man selbst gehalten wird, um weiterhin Raum für andere halten zu können. Es ist ein Geben und Nehmen – und beides ist gleich wichtig.